Maniac – Teil 11 – Neue Perspektiven

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Zum ersten Teil

Als wir am anderen Morgen erwachten, ausgeschlafen, erholt und wirklich bester Laune, ahnen wir noch nicht, dass sich unseren Plänen für die nächste Zukunft einige Widrigkeiten entgegenstellen sollten und sich manches anders entwickeln konnte, als wir es uns ausgedacht hatten. Wir frühstückten gemeinsam, machten Pläne für die nächsten Tage und Wochen, hatten dabei unseren Spaß, lachten und alberten herum, kurzum, die Welt war in bester Ordnung, soweit es uns betraf und wir hatten keinerlei Vorstellung, dass unsere Pläne von völlig unvorhergesehenen Umständen mühelos durchkreuzt werden konnten.

Wir besprachen ausführlich, wie wir uns die Party am kommenden Wochenende vorstellten, überlegten gemeinsam, welche Ausrede Jutta unter Umständen ihrem Mann gegenüber gebrauchen konnte, sollte dieser wider Erwarten zu Hause auftauchen und anderes mehr. Dann, es war schon gut nach acht Uhr, stand ich von unserem fröhlichen Frühstückstisch auf, ich hatte noch ein paar andere Pflichten, die ich in den letzten Tagen schon sträflich vernachlässigt hatte, jetzt duldeten sie keinen Aufschub mehr. Meine beiden hübschen Sklavinnen begannen unaufgefordert meine Wohnung in Ordnung zu bringen und wollten dann, – so hatten wir es verabredet, – ebenfalls ihren alltäglichen Pflichten nachkommen. Jutta musste dringend zur Arbeit, mehr als maximal drei Tage unentschuldigt hätte ihr der Arbeitgeber nie durchgehen lassen und Christiane meinte, auch ihr Studio könnte wohl nicht für alle Zeit ohne sie auskommen. Wir trennten uns nicht ohne etwas Wehmut, die letzten achtundvierzig Stunden waren einfach zu schön und zu erregend gewesen, um so ohne weiteres zur Tagesordnung zurück zu kehren und verabredeten uns für spätestens kommenden Freitag. Am frühen Nachmittag wollten wir uns treffen, um gemeinsam die Party vorzubereiten.

Ich machte mich auf die Socken und sah zu, dass ich in mein Büro kam. Kurz nach neun Uhr öffnete ich die Tür und fand einen aufgescheuchten Hühnerhaufen vor, anstatt fleißig tätigen Mitarbeitern und Kollegen. Die gesamte Belegschaft war in heller Aufregung und mein Büro zeigte deutlich sichtbar Auflösungserscheinungen.

Was war geschehen?

Nun, kaum ein paar Minuten nach acht Uhr, der Bürobetrieb war gerade dabei, ins Rollen zu kommen, hatte es an der Tür geläutet. Man hatte geöffnet und erstaunt zur Kenntnis nehmen müssen, dass draußen eine halbe Kompanie Uniformierter, – angeführt von zwei distinguierten Herren im feinen grauen Kammgarnanzug, – angetreten waren und Einlass begehrte. Claudia, als meine Sekretärin und rechte Hand, hatte sich Kraft ihrer Autorität der Sache angenommen und die Herrschaften gefragt, wer und was sie seien und was der ganze Aufruhr sollte. Nun, die beiden grau bedressten Herren zeigten Ausweise, die sie, – man höre und staune, – als Mitarbeiter des Bundes–Nachrichten–Dienstes auswiesen. Sie verlangten sofort eingelassen zu werden, ohne jedoch nähere Auskünfte zu erteilen, mit welchem Recht und aus welchem Grund sie diesen ganzen Zirkus arrangiert hatten. Eingeschüchtert von den Dienstausweisen hatte Claudia den Weg frei gegeben und die Herrschaften herein gelassen. Die etwa zehn oder zwölf grün Uniformierten hatten ohne auch nur eine Sekunde zu zögern damit begonnen, meine Büroräume auf den Kopf zu stellen. Mit einer geradezu phänomenalen Routine und dementsprechender Sorgfalt hatten sie innerhalb nicht einmal einer Stunde mein Büro inspiziert, dabei das unterste nach oben gedreht, kein auch noch so kleines Zettelchen war unberücksichtigt geblieben, überall hatten die Kerle ihre Zinken hinein gesteckt. Dann, nach ein paar geflüsterten Worten zwischen dem grünen Vorturner und einem der beiden Grauen, hatte sich der ganze Spuk so schnell wie er gekommen war, wieder aufgelöst, die grünen Manderln waren verschwunden.

Eingepackt?

Nein, eingepackt und mitgenommen hatten sie nichts. Nein, eher etwas da gelassen. Nämlich die beiden Grauröcke! Die saßen oben, in meinem Zimmer, an meinem Schreibtisch und warteten auf meine Wenigkeit. Um sich die Zeit zu verkürzen, tranken sie Kaffee. Meinen Kaffee, den mir meine liebe Claudia bereits in der Thermoskanne vorbereitet hatte!

Ich ging erst der Reihe nach zu meinen diversen Mitarbeitern, stellte die Leute erst mal wieder ruhig und besprach die aktuellen Probleme in aller Ruhe mit den Kollegen. Dann ging ich einen Stock höher ins Schreibbüro, checkte meine Anrufliste durch. Ich setzte mich in mein Besprechungszimmer und erledigte von dort aus eine ganze Reihe wichtiger Anrufe. All dies tat ich in größtmöglicher Ruhe und Gelassenheit, da ich ja nichts weniger als ein schlechtes Gewissen hatte!

Was ging mich der BND an? Doch allenfalls einen feuchten Dreck, oder? Und da sich die Herrschaften bei mir nicht angemeldet hatten, sah ich nicht den kleinsten Grund, meine Arbeitsroutine in irgendeiner Form abzuändern und auf die beiden Staatsfaulenzer Rücksicht zu nehmen. Die wollten was von mir, also sollten sie warten.

Es war schon fast Mittag, als ich endlich geruhte, die letzte Treppe hinauf zu steigen, wo sich mein Heiligtum befand.

Also wirklich, dachte ich, beim Staat müsste man arbeiten.

Die Herren saßen in aller Gelassenheit an meinem Schreibtisch, tranken meinen Kaffee und plauderten offenbar ohne jeden erkennbaren Stress miteinander. Die Herrschaften hatten offensichtlich Zeit, so richtig viel Zeit, ihr Gehalt, davon war auszugehen, lief ja weiter, so lange sie an meinem Schreibtisch herum lümmelten.

Ich trat zu guter Letzt also doch noch in mein Büro, sah mir die beiden erst in aller Ruhe an, bevor ich etwas sagte.

Komisch, was der BND doch für Dutzendgesichter beschäftigt! Nichtssagendere Mienen, vom äußeren Eindruck durchschnittlichere Menschen hatte ich selten zuvor gesehen. Die Anzüge der beiden waren aus derselben Kollektion, ebenso Hemden, Krawatten, ja sogar Schuhe und Socken – soweit ich sehen konnte – alles vollkommen identisch. Und nicht nur das, auch die Gesichter, die Frisuren, alles an den beiden war dermaßen standardisiert, einheitlich, man hätte die beiden nahezu als Twins durchgehen lassen können.

Ich schüttelte innerlich den Kopf und dachte: „Irre, was in unserem Staat für Leute herum laufen.“

Als ich durch die Tür in mein Büro trat, schauten die beiden mich an, ihre Köpfe drehten sich wie am Schnürchen gezogen zu mir her. Beide erhoben sich von ihren Stühlen, zwei Arme fuhren heraus, zwei Hände wurden mir entgegen gereckt, um mich zu begrüßen. Und das alles vollkommen synchron. Also wirklich…!

Ich übersah die beiden Hände geflissentlich, denn, wer will schon BND–Leuten die Hand geben? Ich nicht! Dann räusperte ich mich kurz, bevor ich fragte, was ich für sie tun könnte. Derjenige welcher links von mir stand, war der Redner, der andere war vermutlich nur wegen des Vier–Augen–Prinzips mit dabei.

Mr. Speeker, so nannte ich ihn auch gleich in Gedanken, sah mit wasserhellen, grauen Augen an und erklärte mir, ohne eine Miene zu verziehen, dass in meinem Büro der obligatorische Sicherheitscheck durchgeführt worden war, den alle Unternehmen über sich ergehen lassen mussten, die Geschäfte im Ostblock tätigten.

Und was bitte, hatte das mit mir zu tun? Ich machte keine Geschäfte im Osten!

Mit immer noch völlig ausdruckslosem Gesicht, erklärte man mir, dass ich offenbar mit dem Lesen meiner Post nicht ganz auf dem Laufenden sei. Dabei deutete der Gute auf einen Briefbogen, der aus meiner Unterschriftenmappe lugte. Ich griff mir den Wisch und musste mich setzen, als ich ihn überflogen hatte.

Das Föderale Landwirtschaftsministerium der Tschechoslowakischen Republik erteilte mir einen Auftrag! Ich wurde als Sachverständiger bestellt um die Nutzung von Biomasse in Mast- und Zuchtanstalten zu untersuchen. Ja verdammt, wie kam ich dazu? Ich hatte den Leuten nie ein Angebot unterbreitet! Doch die fein säuberlich aufgelisteten Aufgabenstellungen und die dazu ausgewiesenen Honorarkonditionen konnten durchaus von mir stammen. Ich war so unverschämt, die Preise zu verlangen, die da als Vertragsbestandteil ausgewiesen waren. Ich bekam echt große Augen und einen ganz trockenen Gaumen. Also wenn das stimmte…!

Man, das war ein Traumauftrag!

Gesamtvolumen über ein Million Mark! Ich war perplex.

Ich las genauer und stellte fest, alles war zweifelsohne echt. Auch Mr. Speeker, – vorgestellt hatte sich ja keiner der Herren, – bestätigte mir in kurzen, dürren Worten, dass ich mir keinerlei Sorgen machen musste, denn – der Schweinehund kannte meine Post besser als ich, – sogar eine Zahlungsbürgschaft war ausgewiesen worden. Die Hermes–Bank bürgte für das gesamte Honorar! Ein Lottogewinn, würde ich sagen.

Ehe mich in einen Freudentaumel hinein reißen ließ, erklärte mir Mr. Speeker, dass der Sicherheitscheck negativ verlaufen war, man hatte keinerlei Probleme oder Hindernisse erkennen können, ich konnte also den Auftrag annehmen und ausführen. Allerdings bat man mich, hier und da, am besten immer nach einem Besuch im Ministerium in Prag, sollte ich zu einem kurzen Gespräch zur Verfügung stehen. Ok?

Meinetwegen!

Für einen solchen Haufen Kohle hätte ich noch ganz andere Dinge zugestanden!

Mr. Speeker und sein Double verabschiedeten sich nun höflichst von mir und verließen mein Büro auf leisen Sohlen. In meinem Kopf aber begann es zu rattern. Ich sah die Terminwünsche meiner neuen Freunde durch und stellte fest, dass ich bereits in der nächsten Woche zum ersten Mal nach Prag würde fliegen müssen. Ich rief Claudia zu mir, weihte sie in alles ein und bat sie, sich um die Flugtickets und Hotelreservierungen zu kümmern. Ich aber rief meine Mitarbeiter zusammen und berichtete von den unerwarteten Neuigkeiten.

Am späten Nachmittag hatte ich alles soweit im Griff, dass ich mich ruhigen Gewissens und intensiv um den neuen Auftrag kümmern konnte. Jetzt galt es noch mein Privatleben zu ordnen.

Zunächst rief ich Ida im Büro an und erklärte ihr oberflächlich den Sachverhalt. Sie musste sich ja um unseren Sprössling kümmern. Wir vereinbarten, dass sie am Abend bei mir vorbei kommen wollte, damit wir die Details noch ordnen konnten.

Als nächstes hatte ich Jutta an der Strippe. Klar, die für Samstag geplante Party musste ausfallen beziehungsweise auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Jutta weiß ich an, auch Christiane zu instruieren. Die beiden sollten, – wenn möglich, – am Freitagabend bei mir auf der Matte stehen, damit ich auch ihnen alle erforderlichen Anweisungen erteilen konnte.

Mit Gottlieb brauchte ich nicht zu telefonieren, ihm würde ich am Abend, wenn ich nach Hause kam, Bescheid sagen.

Ach ja, verdammt nochmal, am Freitagabend hatte ich ja auch noch ein Date! Gut, das konnte ich trotzdem wahrnehmen. Die Sache musste eben eine Zeitlang auf kleiner Flamme kochen, zumindest, bis ich den Überblick hatte, was da auf mich zukam, wie sauer ich mir die Million verdienen musste.

Und dann, ganz wichtig, Ingrid. Sie musste zwingend ebenfalls informiert sein. Ein Gespräch mit ihr stand sowieso an, um die Situation mit den Beobachtungen durch meine Nachbarin und Christiane zu klären. Das war ich Ingrid schuldig, denn ich wollte ja keinen Krieg mit ihr. Nur meine Ruhe wollte ich, das war mir wichtig. Also rief ich auch sie an und verabredete mich zu einem Glas Wein, sozusagen auf einen Dämmerschoppen, um fünf Uhr im Café um die Ecke.

Erleichtert lehnte ich mich zurück, ich hatte meine Hausaufgaben gemacht, es konnte losgehen. Ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir, dass es auch schon Zeit war zum Date mit Ingrid. Schnell räumte ich meinen Schreibtisch etwas zusammen und machte mich auf die Socken. Punkt fünf Uhr saß ich im Café und wartete auf Ingrid, meine aktuelle Problemfrau.

Sie kam mit weniger als fünf Minuten Verspätung ins Lokal geschwebt, eine perfekte Dame, wie immer und bildschön. Verdammt nochmal, was musste sie mir solche Sorgen machen? Eine derart tolle Frau und seit kurzem nur Ärger mit ihr! Zum Auswachsen war das. Sie kam zu mir an den Tisch, ich stand auf und nahm sie in die Arme. Küsschen links, Küsschen rechts, ein paar schelmische Bemerkungen, dann setzten wir uns. Ingrid bestellte sich einen frisch gepressten Fruchtsaft und bis dieser neben meinem Kaffee auf unserem Tisch stand, redeten wir übers Wetter. Doch dann kam Ingrid schnell zur Sache und wollte wissen, weshalb es denn nun so dringend mit unserem Meeting gewesen war. Ich musste innerlich grinsen, als ich bemerkte, wie sie die Coole mimte. Aber ich ließ es unkommentiert. Statt dessen berichtete ich ihr von meinen Erlebnissen an diesem Vormittag. Alles, bis ins kleinste Detail. Auch, dass der BND mich gecheckt hatte. Ingrid hörte mir interessiert zu, unterbrach mich nicht ein einziges mal, erst als ich mit meiner Geschichte zu Ende war, gab sie ihren Kommentar ab. Sie sah mich mit tieftraurigen Augen an, ich hatte fast den Eindruck als wollte sie gleich zu weinen beginnen, als sie sagte: „Dann war’s das also mit uns? Du wirst in Zukunft keine Zeit mehr für mich auch noch haben, oder? Na ja, ist ja auch egal, in letzter Zeit war ich ja nicht einmal mehr das fünfte Rad am Wagen. Du hast mich ja schon längst abserviert. Ich muss mich eben wieder daran gewöhnen, dass es auch ohne dich Spaß macht zu leben. Ich hab ja auch zuvor lange genug ohne dich gelebt.“

„Na komm, Ingrid, jetzt mach’ mal halblang. Es stand nie zur Diskussion, dass wir ein gemeinsames Leben führen, oder eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Ich hab dir das doch nicht eingeredet. Außerdem hab ich dich nicht abserviert. Warum willst du nicht verstehen, dass ich zum einen in den letzten Monaten wenig Zeit hatte und du weißt weshalb, der Umzug mit seinem ganzen Drum und Dran hat mich mehr als ausgelastet und zum andern, auch das weißt du, hatte ich einfach ein Problem mit meiner Freundschaft zu Kurt. Erst nach unserem letzten Gespräch, als Kurt mir seine Position so klar gemacht hatte, wäre die Chance bestanden, dass wir uns wieder öfters sehen. Doch die, meine Liebe, hast du dir selbst vermasselt. Du weißt was ich meine?“

Ingrid sah mich fragend an, schüttelte den Kopf und antwortete nach einigem Zögern: „Nein, ich weiß nicht was du meinst. Wieso hab ich mir etwas vermasselt?“

„Nun, dann will ich dir mal eine wenig auf die Sprünge helfen. Sagt dir der Name Christiane etwas? Und, auch das würde mich interessieren, wie ist deine Beziehung zu meiner Frau Nachbarin? Und zu unserem lieben Herrn Pfarrer, wie stehst du zu ihm? Du bist nicht nur schön, meine Liebe, sondern auch ziemlich klug, das ist unbestreitbar. Dennoch, du hast Fehler gemacht. Du hast dir die Menschen, die mich überwachen sollten nicht sorgfältig genug ausgesucht. Weißt du, mein Schatz, Menschen, die selbst Dreck genug am Stecken haben, sollte man nicht für solche Aufgaben einsetzen. Auch Menschen, über deren tiefer liegenden Bedürfnisse man nichts weiß, sind nur bedingt benutzbar.“

Ingrid wurde knallrot im Gesicht, – was ihr gar nicht gut stand, – als ich Christiane erwähnte. Die Röte wechselte aber ganz schnell wieder, sie wurde geradezu leichenblass, als ich meine Nachbarin und den Pfarrer erwähnte. Sie saß mir wortlos gegenüber, starrte auf ihre wie immer sorgfältig manikürten Hände und schien nicht so recht zu wissen, was sie zu meinen Andeutungen sagen sollte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich dazu aufraffte, die Flucht nach vorne anzutreten, in die Offensive zu gehen.

Sie hob den Kopf, sah mir pfeilgerade in die Augen und sagte mit leiser, tonloser Stimme: „Du hast es also bemerkt. Ok, was willst du jetzt tun? Werde ich jetzt vollständig in die Wüste geschickt?“

„Quatsch! Niemand schickt dich in die Wüste. Glaub mir, es macht mir auch gar nicht so viel aus, wie du dir vielleicht denkst. Ich bin dir nicht böse. Ja, ich hab mich geärgert, als ich so nach und nach feststellen musste, wie du mich hast überwachen lassen. Aber, – ich gebe es zu, – es hat mir auch ein wenig geschmeichelt. Ich hab mir noch nie eingebildet, ein besonders aufregender Mann und Liebhaber zu sein. Aber deine Maßnahmen waren dazu angetan, mich selbst in einem etwas anderen, – freundlicheren – Licht zu sehen. Darüber hinaus haben mir die notwendigen Schritte eine ganze Menge Spaß gebracht. Ich will dich also keineswegs in die Wüste schicken. Ich mag es nur nicht, wenn mich jemand als sein persönliches Eigentum betrachtet. Zumindest möchte ich dazu gefragt werden und die Chance haben, auch Nein zu sagen, wenn ich es nicht will. Verstehst du das?“

Ingrid nickte nur leicht mit dem Kopf, zugleich sah sich mich erwartungsvoll an. Also fuhr ich fort: „Wir können weiterhin viel Spaß zusammen haben. Es ist immer schön und aufregend zwischen uns gewesen. Wieso soll sich das ändern? Lass mir meine Freiheit, nimm mich wie ich bin und genieße, was wir gemeinsam erleben können. Besitzen kannst du mich nie. Aber störe dich nicht daran, denn andere können dies auch nicht. Ich liebe das Leben und meine Freiheit. Wenn du das akzeptierst, kann alles zwischen uns wieder so werden, wie es noch vor wenigen Monaten war. Du bist eine Klassefrau und ich war immer stolz darauf, dein Lover zu sein. Du hast mehr Temperament und Leidenschaft als fünf beliebige andere Frauen zusammen. Du bist wunderschön, sehr klug, hast Stil und Niveau. Kurz, du gefällst mir sehr. Aber ich kann, will und werde dir nie gehören. Dir nicht und auch sonst niemanden. Kommst du damit klar?“

Jetzt glitzerten wirklich Tränen in Ingrids schönen Augen, als sie mir leise antwortete: „Ich will es versuchen. Ob ich es schaffe? Ich weiß es nicht. Wir werden sehen. Aber auch du solltest versuchen zu verstehen, was mit mir passiert ist. Es war, – hierin hast du ohne jeden Zweifel Recht, – nie zwischen uns besprochen, dass ich exklusive Rechte an dir hätte. Es war aber auch nie geplant, dass ich mich in dich verliebe. Genau das aber ist passiert. Was soll ich dagegen tun? Das Gefühl ist da, ich kann es nicht ändern. Es quält mich und tut mir weh, wenn ich zu Hause, bei Kurt sitze, in der Firma oder wo auch immer, und ich stelle mir vor, wie du es gerade mit irgendeiner anderen Frau treibst. Warum lässt du mich dann nicht daran teilhaben? Du weißt, nein, mehr noch, du hast es ja selbst provoziert, dass ich nicht engstirnig und intolerant bin. Du weißt, ich bin für fast jede, auch noch so verrückte Idee zu haben. Aber ich möchte einfach bei dir sein, mit dir zusammen fühle ich mich wohl. Sieh, auch jetzt wieder, niemand hat mir je solche Komplimente gemacht wie du vorhin. Kurt? Nein, der hat immer nur genommen, nie gegeben. Für ihn war ich ein Statussymbol und eine preiswerte Ergänzungskraft. Die Frau, die seine Kinder zur Welt gebracht hat, die für ihn repräsentiert und die eine nahezu ideale Büroleiterin war und ist. Eine Frau? Ach, lassen wir das, es bringt nichts. Soviel aber solltest du wissen, dass erst du mich zu einer richtigen Frau gemacht hast, dass erst du mir gezeigt hast, zu welcher Leidenschaft eine Frau fähig sein kann, zu welchen Ekstasen mein Körper fähig ist. Und schon deshalb fällt es mir doppelt schwer, zu wissen, dass du mir nie als Partner gehören wirst, zu wissen, dass du es wieder und wieder mit anderen Frauen treibst, ohne dass ich dabei bin. Ich weiß nicht, wie ich damit fertig werden soll. Wenn ich es zu entscheiden hätte, ich würde von dieser Minute zur nächsten alles im Stich lassen, was ein bisheriges Leben aus machte und nur bei dir sein wollen. Aber du willst mich ja nicht, oder?“

Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte sie nicht. Nicht so, wie sie es sich vorstellte. Anders? Ja, jederzeit. Als Geliebte, als geile Gefährtin lustvoller Stunden, die zu jeder, auch noch so bizarren Verrücktheit bereit war, ja, dazu wollte ich sie schon. Aber für immer? Jeden Tag? Nur sie? Nein, das wollte ich nicht.

Ingrid war die Personifizierung der Depression, wie sie so vor mir saß und sich meine Erklärungen anhörte. Wie ein Häuflein Elend, zusammengesunken, bar jeder Hoffnung und jeden Selbstbewusstseins. Ihre Augen waren weit aufgerissen, flossen über, die Schminke wurde ruiniert, die Tränen, die an ihren Wangen herab sickerten, hinterließen dunkle Spuren in ihrem Gesicht.

Sie tat mir leid.

So leid, dass ich gar nicht anders konnte. Ich nahm ihre Hände, führte sie zu meinem Mund und küsste ihre Fingerspitzen. Jede einzeln, alle zehn Finger. Dann schlug ich ihr vor: „Lass es uns doch einfach so machen, wie ich es will. Ich verspreche dir, du wirst nie zu kurz kommen. Ich kann es dir nur noch einmal sagen, nach der Unterhaltung mit Kurt sehe ich kein Problem mehr, dich öfters zu sehen, dich mehr in meine Abenteuer zu integrieren. Aber versteh doch auch, dass die wenigsten meiner Abenteuer und Eskapaden geplant sind. Meist sind es spontane Geschichten, in die ich nur so hinein schlittere. Soll ich dich dann jedes Mal erst anrufen und dich fragen, ob du auch gerade Zeit hast und ob es dir gerade passt? Wenn nicht, dann soll ich darauf verzichten? Das kann ich nicht. Hör auf, mir nachzuspionieren, ergib dich in die unveränderbaren Tatsachen und genieße, was sich ergibt und du wirst sehen, du wirst mehr Spaß haben, als du dir vorstellen kannst. Es wird fröhlich und ohne Zwang und Druck sein, wir werden miteinander Lachen und vögeln, der Alltag aber, er wird uns nie belasten.“

Es dauerte lange bis Ingrid antwortete. So lange, dass ich in der Zwischenzeit schon unsere Rechnung bezahlen konnte und wir bereit zum Aufbruch waren, ich hatte ja schon den nächsten Termin, Ida wartete bestimmt schon auf mich, als sie endlich antwortete: „Ok, ich denke darüber nach. Spätestens wenn du aus Prag zurück bist, sag ich dir Bescheid. Ok?“

Ja, damit konnte ich zunächst leben.

Ich begleitete Ingrid zu ihrem Porsche und winkte ihr nach, als sie weg fuhr. Mit viel Erleichterung stieg ich dann in meinen Wagen um nach Hause zu fahren. Das Problem Ingrid erschien mir lösbar. Nun zum nächsten zu Ida.

Es war, wie ich erwartet hatte. Idas Auto stand vor dem Gartentor, Ida saß im Wagen und blätterte in einer Zeitung. Sie traute sich nicht in den Hof, sie fürchtete sich vor den Bären. Ich war spät, das ließ sie mich deutlich spüren. Empört schalt sie mich, ich hätte sie nun fast eine Stunde warten lassen. „Dumme Kuh“, dachte ich bei mir, „wir hatten doch gar keine Uhrzeit ausgemacht, oder?“ Ich war mir, – nicht ganz, aber doch ziemlich, – sicher, dass wir keine Zeit vereinbart gehabt hatten. Egal, sie war da, ich war auch da, also konnten wir ins Detail gehen. Ich öffnete ihr das Hoftor, ließ sie hinein fahren und beschützte sie vor den stürmischen Zärtlichkeiten von Bär und Wolf. Irgendwie konnte ich Idas Angst vor den beiden nicht verstehen, denn sie hatten sich zwar zu beeindruckend großen und kräftigen jungen Hunden ausgewachsen, dabei waren sie aber total lieb. Jutta hatte keinerlei Probleme mit den beiden. Wie auch immer, Ida hatte einen Heidenrespekt vor ihnen und weigerte sich, den Hof alleine zu betreten. Mir war das recht so, damit war sicher gestellt, dass sie mir nie ins Leben pfuschte und nur kam, wenn ich sie bestellte.

Wir setzten uns in die Küche, nachdem Ida auch von Sascha, der im Haus auf mich gewartet hatte, freudig begrüßt worden war und ich erklärte auch Ida die Situation. Es kostete mich eine ganze Menge an Kraft und Nerven, denn,, – ganz anders als Ingrid, – Ida war schon immer eine sehr, sehr schlechte Zuhörerin. Sie unterbrach mich dauernd, stellte manchmal wirklich saublöde Zwischenfragen, hatte diese Sorge und jenes Bedenken und überhaupt, wieso musste ich zum Geld verdienen in Ausland und auch noch in den Ostblock? Und, war das nicht mysteriös, dass die Tschechen gerade mich beauftragt hatten, dazu noch ohne je von mir ein Angebot erhalten zu haben? Sie sah tausend und ein Haare in der Suppe, es war nervtötend.

Obwohl, in manchen Punkten hatte sie ja gar nicht so unrecht. Sicher war das alles etwas seltsam, auch ich hatte mir darüber schon meine Gedanken gemacht, sie aber wieder zu Seite geschoben, da ich einfach keinen stichhaltigen Grund finden wollte, der mich daran gehindert hätte, den Auftrag auszuführen. Ich wollte einfach nur das positive an der Situation sehen. Also wischte ich Idas Bedenken einfach weg und bat sie, sich darauf zu konzentrieren, was ich ihr wegen unseres Sohnes zu sagen hatte und alles andere meine Sache sein zu lassen. Ich muss mich wohl etwas verärgert angehört haben, auf jeden Fall reagierte Ida genau so, wie es zu ihrer Natur passte.

Wütend sprang sie auf, packte ihre Handtasche und zischte mich an: „Dann mach doch deinen Scheiß allein!“

Sie rauschte die Treppe hinunter und wäre zur Haustür hinaus gestürmt, wenn da nicht wieder meine Bären gewesen wären. So aber brüllte sie die Treppe herauf: „Also, was ist los? Lass mich raus! Und du sieh zu wie du mit allem fertig wirst!“

Mit solchem Verhalten entzieht man sich bei mir jede Gesprächsbasis. Ich ließ sie raus und knallte das Hoftor wieder zu, kaum dass die Stoßstange ihres Autos die Hofgrenze überschritten hatte.

Wirklich, eine blöde Kuh, meine Frau!

Ich fluchte leise vor mich hin, das Scheißweib machte mir nur Schwierigkeiten! Zum Glück gab es aber noch eine Alternative. Über die würde zwar mein Junior fluchen, doch es ließ sich leider nicht ändern. Er musste eben so lange bei Opa und Oma, – meinen Eltern, – bleiben, bis ich sah, wie sich alles entwickelte und disponieren konnte. Ich hängte mich sofort ans Telefon um alles abzuklären. Grundsätzlich gab es kein Problem damit, nur die Schule machte uns Sorgen. Vom Haus meiner Eltern waren es fast zwanzig Kilometer zu Juniors Schule. Nach einigem hin und her erklärte sich mein alter Herr aber bereit, Junior täglich zur Schule fahren, wenn ich die Spritkosten übernehmen würde. Großzügig, wie sich mein Herr Vater ausdrückte, was so viel hieß, dass auch für ihn ein Taschengeld dabei heraus springen musste. Er war Rentner und wurde von meiner lieben Mama immer sehr knapp gehalten.

Das war nun wirklich das kleinste aller Probleme. Ich versprach ihm, gleich am Wochenende Junior und alle seine notwendigen Sachen zu bringen und ihm schon mal einen Vorschuss von fünfhundert Mark zu übergeben. Diskret, damit Oma nichts merkt!

Eine Stunde später hatte ich auch meinen alten Gottlieb instruiert. Mit ihm hatte es, – wie erwartet, – keinerlei Probleme gegeben. Er würde den Stall und meine Tiere bestens versorgen, auf ihn war Verlass.

Erleichterung machte sich in mir breit, Gottlieb holte zwei Flaschen Bier aus dem Keller, wir setzten uns auf einen Strohballen in der Stallgasse, bei meinen Hengsten, prosteten uns zu. Bei einem gemütlichen Schwätzchen konnte ich den Tag ausklingen lassen.

Am nächsten Vormittag fuhr ich in die Stadt, erledigte ein paar Einkäufe. Dann, als ich alles Notwendige erledigt hatte, schlenderte ich in das Kaufhaus, in dem meine künftige Bekannte, die süße, kleine Kreiolin arbeitete, mit der ich für Freitagabend verabredet war. Ich hatte nämlich beschlossen, auch dieses Abenteuer vorläufig auf Eis zu legen. Ich fragte mich nach ihr durch und es gelang mir auch ohne große Mühe, sie für eine Minute von ihrer Arbeit wegholen zu lassen. Wirklich, als sie mit einem strahlenden Lächeln auf mit zu getänzelt kam, fiel es mir mehr als schwer, das Date abzusagen. Aber, was sein muss, muss sein. Ich erklärte ihr in groben Zügen, weshalb wir unser erstes Date auf unbestimmte Zeit verschieben mussten und war hell entzückt, als sich die Kleine wirklich verständnisvoll zeigte. Schnell schrieb sie mir ihren Namen und ihre Telefonnummer auf einen kleinen Zettel. Ich versprach ihr, mich bei ihr zu melden, sobald ich etwas mehr Überblick über meine Zukunft gewonnen hatte. Als ich den Laden verließ, las ich den Namen auf dem Zettelchen. Da stand

Auxiliadora Lopez-Gonzales di Melloardo

Ein seltsamer Name, der sich aber sehr schön aussprechen ließ. Die letzte Silbe erinnerte mich irgendwie an Gold.

Nun war alles soweit geregelt, das Abenteuer Osten konnte beginnen.

Zum nächsten Teil

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